Alles bleibt in Bewegung: Was im Tanz ohnehin Prinzip ist, prägt die künstlerische Arbeit in aktuellen Zeiten mehr denn je. Von notwendiger Flexibilität und steter Anpassung an sich ändernde Vorgaben war auch die Arbeit der Dresden Frankfurt Dance Company in den vergangenen Monaten geprägt. Jetzt aber geht der Blick nach vorn. Company-Leiter Jacopo Godani erzählt von alten und neuen Projekten und dem Schaffen in noch ungewohnter Normalität.
Alles bleibt in Bewegung. Jacopo Godani springt während des Gesprächs gerne unvermittelt auf, geht zur Tür, um frische Luft hereinzulassen, gestikuliert, unterstreicht Gesagtes mit Tanzbewegungen. Das Energielevel ist hoch. Seit wenigen Tagen erst arbeitet die Dresden Frankfurt Dance Company jetzt, Anfang September, wieder gemeinsam im Studio, nachdem die Ämter grünes Licht für einen Betrieb ohne Abstand und Masken im Studio gegeben haben. Davor durfte jeweils nur eine Hälfte der Company vor Ort sein, tageweise haben sich die TänzerInnen in festgelegten Gruppen abgewechselt. „Das war verrückt, so konnte man nicht arbeiten“, resümiert Godani diese Zeit. Ausgerechnet „High Breed“ stand anfangs auf dem Programm, die Wiederaufnahme einer älteren Produktion für den „Anthologie“-Abend im Dezember. „Das sind extrem schnelle, raffinierte Gruppenformationen im Raum. Wir mussten sie erst mit den Abstandsregeln zusammenbauen: Der eine stand hier, der andere dort, überhaupt niemand dazwischen, das war schon merkwürdig.“ Damit „High Breed“ im Dezember wie geplant über die Bühne gehen kann, dürfen sich die Auflagen für den Tanz nicht wieder verschärfen, zu dynamisch muss die Gruppe als Ganzes agieren, zu sehr ist das Werk von Clustern geprägt – einen Plan B gibt es nicht.
Was neue Arbeiten betrifft, wird das Thema Abstand aber durchaus mitgedacht. Derzeit entwickelt Godani seine neue Choreografie „Hollow Bones“, die im November in Dresden und im Dezember in Frankfurt gezeigt werden soll. Sich rüsten für alle Eventualitäten, das bedeutet für Godani: „Ich lege die Szenen wie Puzzleteile an, die ich zusammenfügen oder auseinanderbrechen, im Raum bewegen und zueinander in Beziehung setzen kann. Ich musste mir einfach Gedanken machen, wie die Choreografie auch noch auf gut erträgliche Weise funktionieren kann, wenn ich die Tänzer wieder trennen muss.“
Ein Cellist auf der Bühne
Trennen müsste er in diesem Fall die Tänzer nicht nur voneinander, sondern auch von einem Musiker. Denn in „Hollow Bones“ ist die Choreografie eng verflochten mit dem Einsatz eines Cellisten auf der Bühne, der Auszüge aus Bachs Suiten für Cello solo interpretiert. Es ist ein Spiel mit Aktion, Interaktion, Reaktion, mit Klang, der sichtbar, und mit Bewegung, die hörbar wird. „Ich wollte, dass der Cellist physisch auf die Choreografie Einfluss nimmt. Wir sagen ja immer, dass die Musik die Tänzer auf der Bühne unterstützt. Aber hier kann man auch sagen, dass der Tanz die Musik unterstützt.“ Um das zu konkretisieren, zieht Godani sein Handy hervor und zeigt einen kleinen Ausschnitt im Video. Man sieht Tänzer, die dicht am Cellisten sind. Sie greifen seine Bogenführung zart auf, setzen sie fort und vergrößern sie, lassen die Musik sichtbar pulsieren. „Das ist alles ganz physisch“, erläutert Godani. „Es gibt andere Sätze, in denen etwa erst die Bewegung einfriert, in dem sich die Tänzer plötzlich nicht mehr bewegen. Dann stoppt der Cellist, schaut nach den Tänzern und stößt sie wieder an, so dass sie weitertanzen.“
Die Übersetzung von Leichtigkeit
Aber warum dann der Name „Hollow Bones“, also „Röhrenknochen“? „Vögel haben hohle Knochen, das macht sie leicht“, erklärt Godani. „Das steht für mich als Übersetzung für die Eindrücke, die ich bei der Arbeit mit den Tänzern hatte. Diese Idee von Leichtigkeit, die es braucht, wenn man dem Musiker auf der Bühne sein Spiel nicht vermasseln will. Alles muss sichtbar synchronisiert sein, aber da darf kein Widerstand gegenüber dem Musiker zu spüren sein. Ich habe versucht, dieses Gefühl in etwas zu übersetzen, und am Ende kam „Hollow Bones“ heraus.“
Leichtigkeit heißt nicht, es sich selbst leicht zu machen. Das gilt erst recht für Godanis Arbeit, und es fängt bei der Musikauswahl an. Sämtliche Einzelsätze aus den sechs Suiten für Cello solo von Bach hat der Company-Leiter durchgehört und für sich zunächst katalogisiert, um dann die passenden, möglichst kontrastreichsten unter ihnen für seine Arbeit auszuwählen. Dabei hat er selbst gar nicht einmal eine so enge Beziehung zu Bach. „Naja, es ist okay“, sagt er und muss selbst über dieses Mittelmaßurteil lachen. Aber Musik für Solocello liebe er und da sei eben niemand, der so für Cello geschrieben hat wie Bach. Außerdem war es ein ganz konkretes Projekt, das den Impuls gab: Gemeinsam mit dem Cellisten Jan Vogler wurde Godani gebeten, die Stadt Dresden vor einer Kommission in Brüssel im Rahmen der Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025 zu präsentieren. So entstand der Kern des Stücks. Eigentlich wollte Godani die Arbeit gemeinsam mit Jan Vogler fortsetzen, aber fürs Erste ließen die beiden dicht gefüllten Terminkalender kein gemeinsames Projekt zu. So empfahl Vogler einen jungen hochtalentierten Studenten, der sich jetzt neugierig auf die Arbeit mit den Tänzern einlässt.
Wer die Arbeiten Godanis in den vergangenen Jahren verfolgt hat, weiß: Gerne lässt sich der Choreograf von dem Musikerkollektiv 48Nord die passenden elektronischen Klänge für seine Arbeiten maßschneidern. Momentan wird noch experimentiert, ob es bei reiner Musik von Bach bleibt oder ob noch weitere Sounds integriert werden. „Wir haben jetzt einmal schon mit Elektronik experimentiert, aber das klang nicht gut“, sagt Godani. „Wir arbeiten jetzt zum Beispiel damit, Naturgeräusche durch den Sampler zu schicken oder ähnliches und damit eine Art elektronische Interpretation von Natur zu schaffen.“ Erneut zückt Godani sein Smartphone, diesmal um einen kleinen akustischen Eindruck zu geben. Nach den ersten Klängen runzelt er die Stirn. „Man muss wirklich aufpassen. Es darf auf keinen Fall wie ein Psychothriller klingen!“
Tribut an William Forsythe
Während „Hollow Bones“ gerade erst entwickelt wird, beschäftigt sich Godani derzeit zugleich mit einem Werk, das fast 40 Jahre zählt: Am „Zeitgeist“-Abend im November lässt er seine Company erstmals William Forsythes legendäres „Quintett“ tanzen – ein Werk, das sehr eng auch mit seiner eigenen Vita verknüpft ist. Godani war schließlich einer der vier Tänzer, die Anfang der Neunziger gemeinsam mit Forsythe die wegweisende Choreografie schufen. „Quintett“ bedeute ihm unendlich viel, sagt Godani. „Das war eine der ersten Produktionen, als ich in die Company kam. Ich fand, es sei einfach jetzt an der Zeit, das Stück mit dieser Company zu machen und zu sehen, wie sie in der Lage sind, es zu tanzen.“ Nicht zufällig fügt sich dieser Klassiker der Tanzgeschichte in das Motto „Zeitgeist“ ein: „Das Stück hatte einfach einen enormen Einfluss auf den Tanz. Niemand kann abstreiten, dass Forsythe die choreografische Welt total umgekrempelt hat. Und auch die Art von Themen, die auf der Bühne gezeigt wurden, hat er revolutioniert. Selbst in den modernsten Choreografien, die es vor ihm gab, hatten die Themen, denen man sich auf der Bühne näherten, nie dieses Abenteuerliche, dieses Actionfilm- oder Sciencefiction-hafte. Er hat etwas Unglaubliches geschaffen, was immer noch lebendig ist.
Für mich ist das eine Art Tribut an Forsythe. Wer weiß, wo ich jetzt stünde, wenn ich nicht in der Forsythe Company gewesen wäre. Er spielte einfach eine große Rolle in meinem Leben. Also nicht er als Figur. Ich habe nie nach einem Mentor gesucht, aber er stand für mich einfach für eine Lebensart, für eine Denkweise, für eine Freiheit, die ich vorher nie erlebt hatte und von der ich gar nicht wusste, dass sie existiert. Das zeigte mir: ‚Ok, ich kann in diese Richtung weitergehen, weil sie existiert.‘ Ich bin in Italien aufgewachsen, in einem Umfeld, das nicht so besonders interessant war. Zu ihm zu kommen, das hat mir den Vorhang zu einem neuen Universum geöffnet.“
Charakteristisches Universum
Dritter im Bund an dem „Zeitgeist“-Abend ist der Choreograf Marco Goecke, langjähriger Haus-Choreograf des Stuttgarter Balletts und derzeit Ballettchef der Staatsoper Hannover. Ihn hat Godani eingeladen, mit seiner Company eine komplett neue Choreografie zu entwickeln – „Good Old Moone“ ist der Titel. Godani lässt gerne andere Choreografen mit seinen Tänzern arbeiten, aber eines ist ihm dabei wichtiger als alles andere: Menschlich muss es passen. Die Tanzwelt mit genialen Arbeiten zu verblüffen, sei kein genügendes Kriterium. Wenn die Chemie nicht stimmt, keine Sympathie da ist, würde er keine Zusammenarbeit initiieren. Was Marco Goecke betrifft, kommt zum Sympathiefaktor noch folgendes für ihn hinzu: „Goecke hat mit einem ganz eigenen, charakteristischen Universum die Tanzwelt bereichert. Als er auf der Bildfläche erschien, waren alle fasziniert von diesen eigenartigen Figuren, die er auf die Bühne brachte. Wie sie sich bewegten, interagierten. Das mag ich sehr, das finde ich extrem spannend.“
Text: Ruth Seiberts