Frankfurt Dresden Dance Company - Jacopo Godani

Frankfurt Dresden Dance Company ::Aktuelles

Eine Liebesbeziehung im Schnelldurchlauf


Marco Goecke über seine erste Zusammenarbeit mit der Dresden Frankfurt Dance Company

Tag drei in Frankfurt. Für Marco Goecke ist es eine Premiere, mit Jacopo Godanis Kompanie zu arbeiten – und auch für die TänzerInnen bedeutet es eine neue Erfahrung, sich auf einen Gastchoreografen einzulassen. Goecke gilt als einer der wichtigsten Exponenten der zeitgenössischen Tanzszene, seine mehr als 80, in nur wenigen Jahren entstandenen Choreografien werden nicht nur von den Kompanien aufgeführt, für die sie entstanden (viele von ihnen für das Nederlands Dans Theater, das Stuttgarter Ballett oder, seit der Spielzeit 2019/20 das Staatsballett Hannover), sondern von den wichtigsten Ensembles weltweit. Über seine Arbeit mit der Dresden Frankfurt Dance Company, aber auch über Hoffnungen und Ängste spricht er im Interview.

Wie gestaltet sich für dich gerade das Arbeiten unter unsteten Bedingungen?

Anscheinend sind die Regeln überall anders. Bei Eric Gauthier in Stuttgart konnte ich nur ein Duett machen, und zwar mit zwei Frauen, die zufällig zusammenwohnen. Ich bin ein Choreograf, der gerne Solos macht, so eine gewisse Isolation und Einsamkeit sind meiner Arbeit nahe. Aber wenn ich ein Duett mache, dann meine ich das auch, dann will ich das auch. Hier in Frankfurt scheint das alles ein bisschen freier zu sein als bei Gauthier in Stuttgart. Ich habe mir Proben von Jacopo angeschaut und dachte, ok, das sind ja doch enge Gruppenszenen, das könnten wir in Hannover nicht machen.

Stellst du dich dann um und nutzt diese Freiheit?

Nein. Ich glaube, dass die Monate jetzt wieder härter werden. Und es wäre schade, wenn es gerade dann zerbricht, wenn es Richtung Premiere geht. Ich bleibe also schon ein bisschen in meiner Sologeschichte.

Dann hat sich ja für dich gar nicht so viel verändert?

Doch! Ich habe ja vor dem Lockdown in Hannover angefangen und dort schon gemerkt, wie sehr wir in einem Hamsterrad gelebt haben. Diese Entschleunigung in den letzten Monaten war wirklich wichtig. Viele Leute sagen, diese drei Monate zuhause wären genau das gewesen, was sie gebraucht hätten. Es war also erst einmal eine Erleichterung, dass das Hamsterrad unterbrochen war. Aber dann habe ich gemerkt – und das war eigentlich die schönste Erfahrung –, hier stimmt was nicht mehr mit mir, es ist mir zu wenig im Leben, einfach nur zuhause zu sitzen.

Du hast ja auch relativ schnell wieder angefangen?

Irgendwann hat Eric Gauthier angerufen und gesagt, ich brauche irgendwas für die nächste Spielzeit, willst du nicht etwas machen? Und das empfinde ich immer noch: Im ersten Moment habe ich nicht an das Ergebnis gedacht. Es ging nur darum, sich wieder zu begegnen und eine Zeit miteinander zu verbringen.

Wirklich? Ganz unabhängig vom Ergebnis?

Ja. Im Moment muss man so bescheiden sein und wertschätzen, dass das überhaupt möglich ist. Und auch die Gewichtung erkennen. Auch was es für Probleme in der Welt gibt und ob wir in diesem Job wirklich so viele Probleme haben. Ich hatte auch in den 20 Jahren hie und da Druck in meiner Karriere. Und ich finde, jetzt ist die Zeit zu sagen, ist doch egal, es macht einfach Spaß.

Ein befreiteres Arbeiten?

Ja. Einfach, dass wir überhaupt die Möglichkeit haben, diese Kunst machen zu können – so lange es geht und so lange noch Geld da ist. Das ist ein bisschen aus so einem Hunger heraus: Alleine das, was da ist, ist schon schön und wichtig. Mein Vater ist gerade sehr schwer krank. Mein Hund wird alt. Es relativiert sich gerade so vieles. Es ist wirklich eine Freude, morgens bei der Dresden Frankfurtt Dance Company reinzukommen und mit jungen Menschen etwas auf die Beine zu stellen. Ich werde ja auch älter. Hier mit jungen Leuten was zu machen, das ist einfach toll. Aber es ist ja erst der dritte Tag im Studio.

Das heißt, ihr stimmt euch noch aufeinander ein? Wie darf man sich diesen Prozess vorstellen? Du kommst von außen rein. Wie schafft man da eine gemeinsame Basis?

Früher war ich ganz schüchtern, das war richtig schlimm. Die Soloarbeiten sind zum Teil auch aus einer Schüchternheit heraus entstanden. Eine ganze Gruppe vor mir, das hat mir Angst gemacht. Heute ist es nicht mehr so schlimm. Ja, wie komme ich da rein? Gut, viele Tänzer haben schon etwas von mir woanders getanzt, das fällt mir beim Lesen der Lebensläufe auf. Heute finde ich es oft ein bisschen störend, dass sie, weil sie mich kennen, so einen Respekt haben. Wobei ich mich daran erinnern muss, dass ich den selbst hatte, als ich jung war. Wenn ich vor Leuten wie Jiří Kylián oder Hans van Manen stand, da ging mir auch der Arsch auf Grundeis. Aber manchmal denke ich, was haben die, warum sind die denn so nervös? Das kann ich überhaupt nicht mit mir persönlich in Verbindung bringen. Ich bin nur Marco, der da reingeht, immer noch wie ein Kind, das etwas sucht.

Aber ein gewisser Nimbus ist doch einfach da.

Ja ja, aber da denke ich nicht dran. Ich komme immer ganz pur und unbefleckt rein. Es zählt nichts, was ich gemacht habe, es gibt nichts anderes als mich und die. Das ist eine persönliche Arbeit. Man muss Mut haben, man selber zu sein. Ich komme nicht mit einer Idee oder einer Vision. Ich komme als Ich rein und mache die ersten Schritte.

Es entwickelt sich also alles in einem Prozess?

Unbedingt. Es gab Tänzer, die man vielleicht früher in manchen Kompanien gar nicht so beachtet hat, die ich dann gecastet habe, und dann haben die Leute gesagt: „Der sieht aber so toll aus, den habe ich vorher gar nicht so gesehen.“ Und dann habe ich gemerkt, dass ich nichts tue, was mein Gegenüber nicht kann. Ich kann mich darauf einstellen, das zum Vorschein zu bringen, was er kann. Nicht ihn in eine Form zu pressen, die ich mir ausgedacht habe. Obwohl die Form sehr strikt ist. Ich mache kein Improzeug. Ich mache Schritte, die meinem Stil entsprechen. Trotzdem mache ich nichts, ohne dass die Leute sie selber sein können. Das bekomme ich von den Tänzern auch zurück. Dass sie sagen: „Ich habe mich noch nie – obwohl die Form so streng ist – so frei gefühlt.“

Wenn du jetzt hierhin kommst, dann gibt es ja nicht nur den Einzelnen, sondern die Kompanie als Kollektiv. Wie nimmst du das auf?

Ja, das ist hier natürlich Forsythe- und Jacopo-geprägt. Ich kenne deren Arbeiten und schätze sie sehr. Ich merke trotzdem, dass die Tänzer jetzt ein paar Tage brauchen, um diese Art Schärfe, die in meiner Choreografie herrscht, anzunehmen. Aber das sind ja Weltklassetänzer, das ist alles möglich! Ich bin von der Art, wie sie hier tanzen, auch inspiriert. Trotzdem bleibe ich natürlich bei meinem Vokabular. Ich glaube, das ist für die Tänzer hier etwas Neues, mit Gastchoreografen zu arbeiten. Aber Tänzer brauchen das. Immer wieder sich beweisen. Immer wieder mit anderen Sprachen umgehen. Das macht reich. Und Jacopo will das ja auch.

Jacopo Godani hat gesagt, wenn er Gastchoreografen einlädt, zählt für ihn das Menschliche mehr als das Künstlerische. Was ist für dich wichtig, wenn du z. B. für Hannover andere Choreografen verpflichtest?

Dasselbe! Ich will keine Arschlöcher haben! Und ich will auch junge Choreografen einladen.

Dabei hast du dich schon mehrfach in Interviews beklagt, dass die jungen Choreografen zu wenig Mut hätten, dass sie zu wenig wagen?

Madonna hat mal über ihre Kinder gesagt, dass sie zwar Talent hätten, aber keinen Biss. Damit meinte sie den Wohlstand, das Übersättigte. Sie selbst hatte nichts, als sie angefangen hatte. Ich hatte auch überhaupt kein Geld, als ich in Stuttgart angefangen hatte. Und ich hatte mit meinen Ängsten und meiner Sensibilität eine Not. Ich glaube, wenn man die nicht hat, ist es schwer, etwas von sich zu geben. Ich wünsche keinem jungen Choreografen diese Not und diese Ängste, aber eine gewisse Dringlichkeit und den Mut, etwas von sich selbst zu geben. Tanz macht keinen Sinn, keine einzige Bewegung macht Sinn, wenn sie nicht auch nach innen reflektiert oder aus einer Dringlichkeit heraus kommt. Bei jungen Choreografen habe ich oft das Gefühl, dass sie irgendwann mal was gesehen haben, was sie gerne hätten. Diese Not findet man selten.

Lass uns zum Schluss nochmal zu deiner Arbeit hier für die Kompanie kommen.

Das ist schwierig! Ich habe ja gerade erst angefangen.

Du hast immerhin vorab zu dem Stück gesagt: „Wenn ich an diese Arbeit denke, träume ich vom Gefühl eines Mittelpunkts, der alles erklärt. Jedes neue Werk ist auch die Suche nach einer Begegnung mit jemandem.“

Ich suche immer nach der Liebe. So wie Rilke sagt: „Zwei Geheimnisse, Tod und Liebe, werden wir nie erforschen.“ Ich muss mich jeden Tag in die Tänzer wieder verlieben. Das ist wie eine Beziehung, wie ein Liebesverhältnis im Schnelldurchlauf – und nach der Premiere ist es vorbei. Obwohl ich so ein Einzelgänger bin, bleibt da die Sehnsucht nach Nähe, die man sicherlich in diesem Beruf auch findet. Ja, das neue Stück? Der Tanz ist immer wieder verständlich und zur selben Zeit so unverständlich – so wie das Leben selbst. Der Tanz hat keine Worte, die uns helfen. Der Tanz schmeißt uns auch immer wieder weg von allem was wir eigentlich gelernt haben, nämlich zu verstehen, zu rechnen, abzuwägen, Dinge uns klar machen, damit wir nicht so verloren sind. Der Tanz ist das genaue Gegenteil dessen. Er ist gegen alles, was uns anerzogen wurde. Wenn ich mich mit dem Mond beschäftigt habe wegen der Mondphasenuhr, die ich mir gekauft habe, dann bleibt bei allem, was ich über den Mond erfahre, ein Restgeheimnis, was einen schwindelig macht. Nicht zuletzt: Warum das Ding da oben ist!

Interview: Ruth Seiberts, Fotos: De-Da Productions