Im Rahmen der diesjährigen Verleihung des prestigeträchtigen „Jovan Ćirilov – One Step Further“ Preises in Belgrad, gab Jacopo Godani Matija Jovandić, Journalist der serbischen Nachrichtenplattform nova.rs, ein Interview.
Hier ist es in der deutschen Übersetzung zu lesen.
„Wenn Sie sich als Übermensch mit fünf Armen, zehn Beinen und sieben Gehirnen vorstellen würden, dann könnten Sie sich vorstellen, dass Sie Dinge tun, die über die Grenzen eines normalen Menschen hinausgehen“, sagte der Choreograf Jacopo Godani, Preisträger des Belgrader Tanzfestivals „Jovan Ćirilov“, in einem Interview für Nova.rs.
Das Interview mit dem renommierten Choreographen Jacopo Godani fand einige Stunden vor der offiziellen Preisverleihung im Belgrader Nationalmuseum statt, wo ihm der „Jovan Ćirilov – One Step Further“ Preis überreicht wurde. Er war in bester Laune, obwohl er sich gerade erst dem Coronavirus-Test unterzogen hatte. „Belgrad ist mein Zuhause, weit weg von zu Hause“, sagte er, während er uns Zeichnungen von Kostümen und Choreographien zeigte und zugab, dass es ihm Spaß macht, diese selbst zu zeichnen und manchmal auch die gesamte Szenographie zu kreieren (wobei er beiläufig verriet, dass er ein großer Comic-Fan ist und sich erkundigte, ob es in Serbien einen Comic-Kongress gibt), während er durch die Seiten von „VOGUE“ - Paris Fashion blätterte.
Wäre die Pandemie nicht gewesen, wären Jacopo und die Dresden Frankfurt Dance Company, die er seit sechs Jahren leitet, beim diesjährigen Belgrad Dance Festival im Oktober mit einem neuen Stück aufgetreten. Außerdem sollte er während des Tanzfestivals den Sonderpreis der Jury für das letztjährige Triptychon („High Breed“, „Echoes of a Restless Soul“ und „Unit In Reaction“) erhalten, das 2019 in Belgrad und Novi Sad aufgeführt wurde. Da das Festival jedoch aufgrund der Pandemie verschoben wurde, nahm Godani nur an der Preisverleihung teil und verkündetet, dass der Auftritt der Dresden Frankfurt Dance Company im Zuge des Festivals im Dezember (Anmerkung der Redaktion: aktuell verschoben auf April 2021) statt finden soll.
Jovandić: Ein besonderer Grund für Ihren Besuch ist die Verleihung des „Jovan Ćirilov – One Step Further“ Preises. Frühere Preisträger des Festivals waren Jiri Kylian, Dimitris Papaioannou, Sharon Eyal und Marie Chouinard. Was fällt Ihnen ein, wenn Sie diese Namen hören, und wie fühlen Sie sich, wenn Sie unter ihnen sind?
Godani: Sie alle sind fantastische und äußerst talentierte Kollegen mit interessanten und völlig unterschiedlichen Stilen; deshalb bin ich sehr glücklich und stolz, zu ihnen zu gehören. Ich glaube, mein Stil ist im Vergleich zu ihren eher radikal, also... es ist eine gute Sache, dass wir so unterschiedlich sind (Godani lacht).
J: Der Preis trägt den Slogan „ein Schritt weiter“. Sie sind dafür bekannt, dass Sie von Ihren Tänzerinnen und Tänzern verlangen, ihre Grenzen zu erweitern. Ich glaube, Sie haben die gleichen hohen Erwartungen an sich selbst/an Ihre eigene Arbeit. Welche Grenzen „verschieben“ Sie gerade jetzt?
G: Oje, wir haben nicht genug Zeit, um überhaupt mit diesem Thema anzufangen. Wir begeben uns hier in ein sehr sensibles Gebiet. Es ist kein Geheimnis, dass sich diese Welt ständig verändert. Das Hauptproblem ist jedoch, dass die Gesellschaft immer träger wird; es gibt viele wichtige Dinge, von denen ich wünschte, ich hätte sie in den letzten 30-40 Jahren ändern können, aber der einzige Weg etwas zu ändern ist ein Neuanfang - mit neuen Generationen. Das ist der Hauptgrund, warum ich so hohe Ansprüche an junge Tänzer stelle und warum ich glaube, dass sie das erreichen können. Ich will nicht zu überheblich klingen, aber wir gehen das eher wissenschaftlich an. Wir analysieren zuerst alles und versuchen dann eine verbesserte Version von uns selbst zu entwickeln. Ähnlich wie bei künstlicher Intelligenz, wo alle Informationen im Detail analysiert und dann in einem besseren, effizienteren Format rekonstruiert werden. Wie machen wir das? Im Grunde beobachten wir unseren Alltag, wie und was wir im Studio machen, wie wir auf der Bühne auftreten, was wir liefern, und dann sprechen wir darüber und suchen nach Möglichkeiten, uns weiter zu verbessern. Deshalb glaube ich, dass das wahre Kunstwerk im Studio entsteht - nicht auf der Bühne. Was auf der Bühne sichtbar ist, ist nur ein kleiner Teil davon, ein kurzer Eindruck von Stunden und Stunden der Arbeit, die damit verbracht werden, das Unbekannte zu verstehen. Nur als Beispiel: Wir verbringen jeden Tag 10 Stunden im Studio und treten selten länger als eine Stunde auf der Bühne auf.
Veränderungen sind ein notwendiger Bestandteil von Verbesserungen in allen Lebensbereichen, ob im Büro oder zu Hause, Veränderungen erfordern einen starken Willen und eiserne Konsequenz. Ja, ich verlange viel von den Tänzerinnen und Tänzern. Ich verlange immer, dass sie nach mehr streben, dass sie die besten Versionen ihrer selbst sind. Wir können uns nur dann übertreffen, wenn wir daran glauben, dass wir es können, und dann wird die Veränderung sichtbar. Ich weiß nicht, ob Sie es bemerkt haben, aber ich sehe viel jünger aus, als ich eigentlich bin (Godani lacht).
J: Sie sind also ein Verfechter der Veränderung in allen Aspekten des Lebens, nicht nur in einer künstlerischen Ausdrucksform?
G: Natürlich! Das muss so sein. Ich arbeite mit Tänzern im Alter von 17-26 Jahren. Sie alle wollen Künstler sein, aber sie wissen nicht, was das vor 30-40 Jahren bedeutete, als es noch kein Internet, keine sozialen Netzwerke und anderen Unsinn wie diesen gab. Sie verbringen den ganzen Tag mit sozialen Medien und denken, sie seien Künstler. Dann muss ich sie aufrütteln: Es tut mir leid, aber das Scrollen auf dem Telefon macht sie nicht zum Künstler; das Tragen von Markenschuhen macht sie nicht zum Künstler; Selfies aufzunehmen und sie auf Instagram zu posten macht sie nicht zum Künstler! Künstler tragen etwas zur Verbesserung ihrer Gesellschaft bei, zum geistigen und intellektuellen Fortschritt, zu allgemeinen sozialen und ökologischen Verbesserungen. Wenn wir jedoch inaktiv bleiben, wird das unser Ende sein.
J: Ist es möglich, diese Veränderungen allein durch den Tanz zu erreichen?
G: Ich glaube schon. Der Tanz ist eine sehr intelligente Form der gesamten Existenz, denn er lehrt uns nicht nur wie wir denken, sondern auch wie wir handeln und in der bestmöglichen Form existieren können, sowohl physisch als auch metaphorisch gesprochen. Wissenschaftler sagen, dass die Menschen nur 10 oder 20 Prozent der gesamten Hirnkapazität nutzen, und das nicht einmal gleichzeitig. Dasselbe gilt für unseren Körper. Was tun wir die meiste Zeit? Wir sitzen. Wenn wir unsere Kinder unterrichten, was tun wir dann? Wir sitzen. Im Alter von sechs Jahren bringen wir sie zur Schule und lassen sie jeden Tag sechs Stunden lang sitzen. Wie können wir dann erwarten, dass sie nicht faul sind, wenn sie erwachsen werden? Das System verhindert eine freie, ungebundene körperliche Existenz. Der menschliche Körper ist eine unglaubliche Maschine mit unendlichen Möglichkeiten. Je mehr man sich mit der physischen Koordination auseinandersetzt, desto größer ist das Selbstbewusstsein und das Selbstverständnis. Ausgehend von früheren Erfahrungen beginnen wir zu glauben, dass unsere Möglichkeiten begrenzt sind. Würden Sie hingegen anfangen, Ihren Körper wie z.B. einen nagelneuen "Ferrari" zu betrachten, würden Sie anfangen, sich selbst auf eine viel fortschrittlichere und differenziertere Weise zu beobachten. Sie würden sich Ihres Potenzials bewusster werden, indem Sie Ihre eigenen Grenzen erweitern, und Sie werden schließlich erkennen, dass Fortschritt allein mit Ihrem Gehirn und Ihrer geistigen Kapazität zu tun hat und nicht mit körperlicher Kraft. Wenn Sie sich selbst als einen Übermenschen mit fünf Armen, zehn Beinen und sieben Gehirnen vorstellen würden, dann könnten Sie sich vorstellen, dass Sie Dinge tun, die über die Grenzen eines normalen Menschen hinausgehen. Vieles davon ist das Ergebnis von Vorstellungskraft, Kreativität und verschiedenen Kombinationen von Werkzeugen, die Sie umgeben. Die häufigste Frage, die wir nach einer Aufführung bekommen, lautet: "Wie können Sie sich all diese Schritte merken; wie schaffen Sie es, sich so leicht zu bewegen? Meine Antwort lautet gewöhnlich: "Jeder kann das tun - außer Sie haben sich dagegen entschieden. Es ist ähnlich, wie wenn man sein Leben mit hinter dem Rücken gefesselten Händen lebt, und dann im Alter von 35 Jahren plötzlich die Hände losgebunden werden, und man schaut sie an und sagt: "Was soll ich jetzt damit machen?" Das ist Ihr Körper. Sie könnten alles mit ihm machen, Sie benutzen ihn nur nicht.
J: Sie haben einmal erwähnt, dass nicht alles, was wir auf der Bühne sehen, Kunst ist...
G: Wir betreten die Bühne mit den gleichen Ideen, die ich gerade beschrieben habe. In dem Stück „High Breed“ zum Beispiel haben wir zwei Gruppen mit je sieben Tänzern, die alle die gleichen Bewegungen in „Hypertempo“ ausführen. Wir erreichen dies durch eine Form der Komprimierung der Bewegung von 10 Sekunden auf anderthalb Sekunden. Dasselbe machen wir mit Musik. Dann versuche ich, alles unter einen Hut zu bringen. Anstatt ihnen einen bestimmten Schritt beizubringen, lasse ich es durch Kommunikation geschehen. Jede Gruppe muss in visuellem Kontakt mit der anderen Gruppe stehen und den gleichen Schritt ausführen. Es gibt kein Zählen, keinen Rhythmus, keine Melodie, nur die Einstellung: „Lasst uns das zusammen machen und dafür sorgen, dass es funktioniert“. Hier sieht man das immense Potenzial und die unendlichen Möglichkeiten der Zusammenarbeit, egal wie unmöglich es zunächst scheint. Deshalb erinnere ich die Tänzerinnen und Tänzer immer wieder daran: Beobachtet euch gegenseitig, kommuniziert auf der Bühne. Dann passen sie perfekt zusammen.
Das Problem bei einem solchen Stück liegt jedoch darin, dass viele Menschen es nicht verstehen. Es erstaunt sie, verwirrt sie, sie wollen es noch einmal sehen - aber in Zeitlupe.
Jedoch sind sie eine Menge an Informationen und an ein Tempo von deren Verarbeitung gewöhnt, dass einer simplen Reality-Show ähnelt. Alles ist so einfach geworden.
Die Leute wollen keine umfangreichen Inhalte lesen. Das ist ein Merkmal der mentalen Atrophie, von der ich vorhin gesprochen habe.
J: Einige Kritiker würden Ihren Stil als eine Kombination aus sehr ausgefeilten und sehr rohen Elementen auf einfachster Ebene beschreiben. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
G: Das ist eine verdammt gute Beschreibung, da habe ich nichts hinzuzufügen.
J: Sie sind in der ganzen Welt aufgetreten. Wie werden Ihre Auftritte je nach Kultur auf- und wahrgenommen? Gibt es da einen Unterschied?
G: Auf jeden Fall! Es hat viel mit dem allgemeinen (pop-)kulturellen Puls der Zeit zu tun bzw. vielmehr mit dem Timing des Stückes. Es hat alles mit dem aktuellen Informationsstandard zu tun, den man über das Fernsehen oder andere Massenmedien erhält. In Spanien zum Beispiel bin ich ein Superstar. Dort erhalten wir Standing Ovations, und in Deutschland, dort wo ich derzeit wohne, sind die Reaktionen eher verhalten. Es ist komisch, dass zu Hause, wo die Dresden Frankfurt Dance Company ihren Sitz hat, die Kritiker gar nicht oder höchstens so reagieren, als ob sie nichts gesehen hätten, was es nicht schon gab. Ich bin jedoch überzeugt, dass sie keinesfalls verfolgt haben, was in den letzten 20 Jahren im Tanz passiert ist.
Die Kultur wurde sehr politisch - so sehr, dass ich mir nicht sicher bin, was als nächstes passieren muss, damit alle verstehen, dass Politik ein dummes Konzept ist, das einfach „nicht funktioniert“. Wir haben viele politische Modelle erlebt, die versuchen, die Menschen in ihrer Pseudorepräsentativität zu überzeugen. Zum Beispiel wählen die Menschen jemanden und erwarten, dass er oder sie das erfüllt, wofür er oder sie ernannt wurde - und das tun sie nie. Es macht für mich keinen Sinn, immer wieder die gleichen Fehler zu wiederholen.
J: Sie sprechen von einer Art falscher Darstellung...
G: Ja. Und es gibt so viel Intelligenz in dieser Welt, so viel Kreativität und unglaubliche Technologie, die selbst in Bereiche vorgedrungen ist, die wir uns vorher nicht im Traum hätten erschließen können, und wir nutzen nichts davon in vollem Umfang. Wir glauben an die Moral, mit Veränderungen Schritt für Schritt umzugehen, und daran, dass dies der richtige Weg ist, mit Veränderungen umzugehen. Die Gesellschaft lehrt die Menschen, dass der Fortschritt allmählich und langsam ist. Ich halte das für völligen Unsinn. Der Fortschritt sollte und kann viel schneller sein. Persönliche Lernerfolge, die ich täglich in der Studioarbeit erlebe, sollten beispielsweise im gesamten Schulsystem Normalität sein. Da könnte so viel getan werden. Das, was ich mit diesen 16 Tänzerinnen und Tänzern erlebe, mit denen ich täglich arbeite, gibt mir das Recht, es für möglich zu halten.
J: Tanz ist auch ein physischer Kontakt...
G: Absolut richtig.
J: ... und in der Zeit des Coronavirus ist der Kontakt verboten. Wie wirkt sich das auf Sie und Ihre Arbeit aus?
G: Nun, offensichtlich ist es gerade keine „Arbeit“ im eigentlichen Sinne des Wortes. Vielmehr bewegen wir uns auf etwas zu, bei dem wir noch weniger arbeiten als zuvor. Aber es ist interessant, ja sogar herausfordernd, zu sehen, was wir tun können. Normalerweise hatten wir immer einen „Ground Zero“-Ansatzpunkt und bewegten uns auf einen Höhepunkt zu. Und jetzt mit der andauernden Pandemie haben wir nicht wirklich etwas Greifbares in Aussicht. Also sage ich: Okay, sehen wir mal, was wir daraus machen können. „Einer sitzt hier, und einer dort drüben“, auf Sicherheitsabstand, und ich beobachte und versuche, etwas Neues zu finden, das mit diesem Konzept realisierbar ist. Alles ist auf Null heruntergefahren worden. Aber wenn wir unseren Verstand einsetzen, können wir für jede Situation erstaunliche Lösungen finden.
J: Sehen Sie diese Situation also als eine Herausforderung?
G: Sie IST eine Herausforderung. Es ist, als würde Ihnen jemand sagen, dass Sie ein Welpe sind und die Sprungweite eines erwachsenen Hundes übertreffen müssen. Aber Ihre erste Herausforderung besteht nicht darin, die Distanz von 30 cm zu überspringen, sondern in eine völlig neue Ära zu springen! Denn wenn sich die Dinge nicht verbessern, ist das Spiel für uns alle vorbei.
J: Verzichten Sie darauf, eine physische Distanz einzuhalten?
G: Ich respektiere alle Richtlinien bezüglich der Einhaltung eines Sicherheitsabstandes, aber als intelligenter Mensch bin ich mir bewusst, dass eine kleine Supermaske die Ausbreitung des Virus nicht verhindern kann. Es ist mir völlig klar, dass sich das Virus über die Distanz von anderthalb Metern beträchtlich ausbreiten wird. Es mag helfen, die Ansteckung zu verlangsamen, aber wir brauchen etwas viel Effizienteres, um sie zu stoppen. Einerseits halten die Menschen den vorgeschriebenen Abstand ein, weil sie denken, dass es hilft, andererseits steigen sie in das Flugzeug, wo sie nebeneinander sitzen und die gleiche Luft einatmen werden...
J: Können Sie uns etwas über das neue Stück erzählen, an dem Sie arbeiten, und uns eine kleine Vorschau auf Ihre nächste Aufführung im Dezember geben?
G: Es ist wirklich schwer, es mit Worten zu erklären, ohne zu viel zu verraten. Wir arbeiten derzeit an einem neuen Programm, das in Dresden aufgeführt werden sollte. Unsere Managerin Annika Glose stellte den Kontakt zu führenden Gesundheitsexperten in Essen her, damit wir offiziell die gleiche Behandlung wie Profisportler erhielten, um im Studio arbeiten zu können. Deutschland ist jedoch in Regionen unterteilt, und jede von ihnen hat ihre eigenen Regeln und Vorschriften. Kurz gesagt bedeutet das, dass wir unser neues Programm, auf das ich persönlich sehr stolz bin, nicht in Dresdens präsentieren könnten, weil unsere Tänzer dort einen Abstand von 3 Metern einhalten müssen, was die nun geprobten Choreografien praktisch nutzlos macht. Mit diesen Regeln könnten die Tänzerinnen und Tänzer höchstens nur Solos ohne Interaktion mit ihren Kollegen tanzen. Aber so ist die Situation nun mal. Schlussendlich werden nun in aller Fairness alle Theater geschlossen, was bedeutet, dass auch die Aufführung in Dresden nicht stattfinden wird. Ich arbeite gerade an etwas Neuem, das ich in Frankreich und auf dem Belgrade Dance Festival im Dezember präsentieren möchte. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob wir es wirklich aufführen können. Es hängt alles davon ab, wann welche Regionen zum Risikogebiet erklärt werden, denn von Deutschland aus können wir dann nicht in diese Länder reisen. Das Festival in Frankreich soll Anfang Dezember stattfinden, aber es gibt immer noch keine Garantie, dass die Theater bis dahin geöffnet sind. Im Grunde entwickeln wir laufend neue Konzepte. Das aktuelle Projekt geht von einem klassischen Tanz mit modernen Elementen aus. Es ist, als ob man die besten Worte und Phrasen aus der klassischen Literatur oder dem Schauspiel nehmen würde, um ein ebenso eloquentes, aber zeitgenössisches Gedicht zu komponieren. Ich glaube nicht, dass „zeitgenössisch sein“ bedeutet, auf das klassische Erbe zu verzichten. Ich finde das klassische Ballett wegen des hohen Niveaus der ästhetischen Perfektion und der spektakulären virtuosen Dynamik, die ich sehr schätze, etwas Besonderes.
J: Gibt es einen Arbeitstitel für Ihr neues Projekt?
G: Das Stück, an dem ich gerade arbeite, trägt den Arbeitstitel „Hollow Bones“ und basiert auf Prinzipien des barocken und klassischen Tanzes. An diesem Projekt ist auch ein sehr junger Cellovirtuose aus Serbien beteiligt. Sein Name ist Petar Pejčić. Er ist ein 18-jähriges Wunderkind, einer der talentiertesten Schüler von Jan Vogler, einem weltberühmten Cellisten. Ich habe in der Vergangenheit mit Jan Vogler zusammengearbeitet und er war derjenige, der Petar als intelligenten und aufgeschlossenen Menschen empfahl. Als jemand, der für meine radikalen Ideen, z.B. die eine außergewöhnliche Beziehung zwischen Musikern und Tänzern zu entwickeln, empfänglich wäre, die eine seltene, ich wage zu behaupten, völlig neue Interaktion zwischen ihnen hervorruft. Wir konnten dieses Stück, wie in Frankfurt bereits angekündigt, wegen der Schließung der Theater noch nicht aufführen, sodass das Stück tatsächlich beim Belgrade Dance Festival seine Premiere feiern würde, sofern alles gut geht.
J: Und schließlich, wie sehen Sie angesichts der aktuellen Situation die zukünftige Entwicklung des Tanzes?
G: Als eine sehr einsame.
Das Interview ist hier in der Originalfassung nachzulesen.
Fotos © Nemanja Jovanović.